Viele Schönberger lebten von der Grenze

Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus:
Der Bau einer Mauer quer durch
Deutschland, quer durch zahlreiche
Dörfer und Städte, quer durch
eine unüberschaubare Vielzahl
von Familien war ein Akt, gezeichnet
von Unmenschlichkeit, Skrupellosigkeit
und Brutalität. Er ging
einhermit Massenvertreibungen
aus den Grenz- und grenznahen
Gebieten, Enteignungen, Kriminalisierung
beziehungsweise Inhaftierung
Tausender Unschuldiger
und es kamen dabei Menschen zu
Tode. SED-Allmachthüter und deren
Propagandisten hämmerten
auf die Menschen ein, den Weltfrieden
schützen zu wollen. In
Wirklichkeit errichteten sie ein
neues innerdeutsches „Kriegsgebiet“.
Wer Geld hatte, natürlich
nur die Westmark, der durfte die
Grenzanlagen aus Beton und Stacheldraht
passieren. Die Lüge vom
Dritten Weltkrieg war schnell widerlegt.
Der durchschnittliche
DDR-Bürger blieb außen vor. Tatsächlich
fürchtete die Arbeiter- und
Bauernregierung in Ostberlin,
dass ihnen die Arbeitskräfte wegliefen.
Sie waren nicht in der Lage,
mit Intelligenz und Leistung die
Menschen zu überzeugen. Primitiv,
einfach gehaltene Denkschemen
trieben das Handeln der
DDR-Machtorgane in der SED,
beim Staatssicherheitsdienst, in
den Reihen der NVA oder den
Grenztruppen der DDR voran.
Wer nicht Freund war, war automatisch
der Feind. Inzwischen ist
auch belegt, dass man mit dieser
innerdeutschen Grenze viel Geld
„verdienen“ konnte. Grenzoffiziere
und Mitarbeiter der Stasi verdienten
weit mehr Geld als die Arbeiter
in den maroden Fabriken
oder die Bauern in den zwangskollektivierten
Kolchosen der DDR.
Wenn auch schleichend, der
Zweiklassenstaat innerhalb der
Deutschen Demokratischen Republik
entwickelte sich zunehmend.
Und so kam es, wie es kommen
musste. Die Menschen in Leipzig,
Berlin, Rostock und, und, und . . .
gingen 1989 auf die Straße. Den
selbsternannten Kämpfern für
„Gerechtigkeit und Weltfrieden“
wurde der Boden unter den Füssen
entzogen, die Arbeiterschaft
ging ihnen verloren. Und so wundert
es nicht, wenn es noch heute
Menschen gibt, die der damaligen
DDR nachtrauern und unter Fernweh
nach einer längst vergangenen
Zeit leiden. Eine traurige Zahl
nur als Beispiel. Allein in Schönberg
und Umgebung lebte beinahe
die Hälfte der meist zugereisten
Einwohnerschaft nicht nur mit,
sondern in erster Linie von dieser
Grenze. Die Grenzanlagenmauserten
sich zu einem ewig geldverschlingendem
„VEB Grenz- und
Wachbetrieb“ und waren der größte
„Arbeitgeber“ in der Region. Allein
für die GÜST in Selmsdorf
wurden in den Jahren 1979/80 von
Seiten der DDR-Regierung 3,5 Millionen
Mark der DDR für Bauleistungen
bereitgestellt. Vielen Menschen,
die sich so eigenverantwortlich
in Abhängigkeit brachten, gingen
nach 1989 ihre Privilegien verloren
und nicht selten zerbrach die
durch Zugehörigkeit bei den
Grenztruppen aufgebaute, eigene
Existenz.
Uwe Lembcke , Schönberg